Etty Hillesum: Das denkende Herz der Baracke

Die Tagebücher 1941 – 1943

Eine Lesung mit musikalischer Bearbeitung unter der Schirmherrschaft von Mutherem Aras, Landtagspräsidentin von Baden- Württemberg

Etty Hillesum war eine niederländische jüdische Slawistik – und Psychologiestudentin, die nach ihrer Deportation nach Ausschwitz im jahr 1943 dort umgebracht wurde.

In den Jahren 1941 – 1943 entstanden ihre Tagebücher.

Sichtbar wird der Weg einer Chronistin und beeindruckenden Zeitzeugin, die angesichts der unglaublichen Entmenschlichung nicht resigniert und zerbricht, sondern zu einer wahrhaften Solidarität mit den Menschen findet. Dem politisch verordneten Haß setzt sie die unvergleichlich konsequente Annahme ihres Schicksals und Sinnhaftigkeit des Lebens im Sinne der universellen Liebe entgegen. Etty Hillesums Zeugenschaft stellt über die historischen Bezüge hinaus Fragen nach den Maßstäben unseres politischen und gesellschaftlichen Denkens und Handelns – und ist damit heute so aktuell wie damals.

"Das Leben und das Sterben, das Leid und die Freude, die Blasen an meinen wundgelaufenen Füßen und der Jasmin hinterm Haus, die Verfolgung, die zahllosen Grausamkeiten, all das ist in mir wie ein einziges starkes Ganzes, und ich nehme alles als ein Ganzes hin und beginne immer mehr zu begreifen, nur für mich selbst, ohne es bislang jemand erklären zu können, wie alles zusammenhängt".

Der Musiker Dimitris Pekas ist Absolvent der Hochschule für Musik Freiburg und begleitet nicht nur als Cellist die Texte, sondern sorgt mit einer eigenen Bearbeitung in Form von Klang, Improvisation und Zitaten für eine besondere Verbindung von Wort und Musik und inhaltlicher Vertiefung.

Zu den Tagebüchern der Etty Hillesum ist eine Inszenierung als modernes Musiktheater in Stuttgart in Vorbereitung.

Grußwort von Muhterem Aras (MdL), Präsidentin des Landtags von Baden-Württemberg

Wir leben in einer Zeit, in der man die Kultur des Erinnerns nicht hoch genug schätzen kann. Die Schrecken des Nationalsozialismus mögen Jahrzehnte zurückliegen. Doch Hass, Ressentiments, antisemitische und fremdenfeindliche Strömungen gewinnen an Einfluss. Sie wirken in die gesellschaftlichen Diskurse hinein und werfen Fragen nach dem Zusammenhalt in unserer Gesellschaft auf. Das Grundgesetz und die Werte, die es verkörpert, geben Antworten auf diese Fragen. Artikel 1 unserer Verfassung lautet: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Etty Hillesum verkörpert diesen grundlegenden Wert durch ihren persönlichen Reifungsprozess und ihre Haltung zur Welt. Angesichts der Entmenschlichung im Nationalsozialismus verfällt sie nicht in Hass und Resignation. Sie findet stattdessen zu tiefem Glauben, auch an die unveräußerliche Würde des Menschen. Etty Hillesum zeigt exemplarisch, dass Werte erst lebendig werden, wenn wir sie leben. Solidarität, persönliche Integrität, Menschlichkeit: All das bewies diese junge Frau inmitten des Grauen des Holocausts und entwickelte eine Strahlkraft, die bis in unsere Gegenwart reicht.

Muhterem Aras MdL
Präsidentin des Landtags von Baden-Württemberg

Presse & Stimmen

Am Dienstag der diesjährigen Karwoche fand im Lehrsaal des Waldhofs eine Lesung aus den Tagebüchern der niederländisch-jüdischen Studentin Etty Hillesum statt. Die Waldhof – Akademie sah darin ihren Beitrag, an die Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz zu erinnern, der in diesem Jahr an vielen Orten und in vielen Medien gedacht wurde.

Die Tagebücher der Etty Hillesum entstanden in den Jahren 1941 – 1943 vor der Deportation und Vernichtung in Auschwitz-Birkenau. Sie war 27 Jahre alt, als sie mit den Aufzeichnungen begann, an deren Anfang die Begegnung mit dem wesentlich älteren Psychologen Julius Spier steht. In der tiefen geistigen und später auch erotischen Beziehung erwachte die junge Frau und reifte innerhalb weniger Jahre zu einer beeindruckenden Persönlichkeit. Jenseits aller religiösen Einengungen fand sie zu einem sehr persönlichen Verhältnis zu Gott und zu einem tiefen Humanismus. Ihr Glaube und ihre Liebe gaben ihr die Kraft, auch im Angesicht der Katastrophe, der Unmenschlichkeit und des gewissen Todes einen Sinn im Leben zu erkennen und dies ihren Mitmenschen zu übermitteln. Wie es ihr gelang, angesichts des politisch verordneten Hasses und der Konfrontation mit dem Bösen, das Leben zu bejahen, wird für immer Vorbild sein. In den einfach, aber eindringlich formulierten Sätzen, die heute so aktuell wie damals klingen, ertönt eine Stimme, die es wert ist, weit über ihren Tod hinaus gehört zu werden.

Dazu haben Ingeborg Waldherr mit der ihrer Lesung und Dimitris Pekas mit seiner musikalischen Begleitung auf dem Cello in beeindruckender Weise beigetragen. Gut ausgewählte Passagen verdichteten die Entwicklung der jungen Frau. Ingeborg Waldherr gab ihr eine klare und starke Stimme. Ungewöhnliche Cello-Töne - gezupft, gestrichen, geschlagen, aber immer sich dem Wort in der Stimmung anpassend – ließen die Bezeichnung „das denkende Herz“, die sich Etty Hillesum selbst gab, spürbar wahr werden.

An einschneidenden Stellen und am Ende der Lesung sorgte der Cellist mit seinem Solospiel ausgewählter Kompositionen für eine musikalische Verdichtung, die noch lange nachklang.

Das Publikum zeigte sich tief bewegt und nahm regen Anteil an der abschließenden Gesprächsrunde.

Freiburg, 29. März 2018

Dr. Karl K. Schäfer
Leiter des Waldhofs e.V. –
Akademie für Weiterbildung

Liebe Frau Waldherr,

Ihre Lesung aus den Tagebüchern der Etty Hillesum am 27. März 2018 im Waldhof, Akademie für Weiterbildung in Freiburg, hat mich tief beeindruckt. Ich hatte bisher nie etwas von dieser klugen und tapferen niederländischen Jüdin gehört. Die 1941 bis 1943 angesichts zunehmender Schikanen der Nazis und schließlich des Abtransportes ins Vernichtungslager verfassten Betrachtungen und Selbstbefragungen sind von sympathischer Ehrlichkeit und beschwören eine bewundernswürdige Moral, die Hass nicht mit Hass beantworten will, das Leben liebt, aber nicht an ihm hängt und in ganz zarter Weise auf Gott vertraut.

Ich wünschte mir, dass sie Etty Hillesum weiter bekannt machen und damit vor allem jungen Menschen zeigen, zu welchen Grausamkeiten der Rassenwahn führte und wie ein ihm ausgelieferter Mensch sich seine moralische Integrität bewahrte.

Prof. Dr. Volker Michael Strocka